Richtung Zukunft – aber wie?

Gespräch mit der Siegener Zeitung über Antrag der Grünen zum Leitbild für die Stadt / Strategieprozess notwendig / „Visionen“ begegnen Verwaltung im Sparzwang

pebe ■ Einen „Strategieprozess“, an dessen Ende ein Leitbild für Freudenberg stehen soll, hat kürzlich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt gefordert. Eine „strategische Gesamtkonzeption“ sei nötig, um sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen, so die Fraktion in ihrem Antrag an den Rat. Zugleich solle das Leitbild eine „verbindliche Leitplanke“ für Rat und Verwaltung sein, die eine „nachhaltige Entwicklung“ der Stadt im Blick habe (die SZ berichtete). Ausgangspunkt für die Überlegungen der Grünen sind dabei die Vorgaben des Haushaltssicherungskonzeptes und der bis 2017 geplante Haushaltsausgleich. An ihm sei die strategische Konzeption zu entwickeln. Der Rat stimmte dem Antrag übrigens mit 19 Ja-Stimmen bei zwölf Nein-Stimmen zu.

Die SZ wollte nun von den Bündnisgrünen genauer wissen, was sie sich von der Leitbild-Diskussion erhoffen. An dem Gespräch beteiligten sich die Fraktionsvorsitzende Christiane Berlin, ihr Kollege Werner Steuber und als sachkundiger Bürger Christian Hombach. Wegen der Verknüpfung mit den städtischen Haushaltszielen war auch Freudenberges Kämmerer Jörg Schrader in die Diskussion eingebunden.

„Das fehlende Leitbild treibt uns schon lange um“, erklärte Christiane Berlin. Die grundsätzliche Diskussion um die finanzielle Konsolidierung der Stadt habe das Thema noch dringlicher werden lassen. Für die Grünen seien die grundsätzlichen, dringenden Fragen: Wohin will die Stadt? Und: Was will sie? Die Fraktion wolle diese Fragen als Grundlage für die strategische Diskussion in den Rat tragen, „das kann nicht eine Partei allein“. Werner Steuber ergänzte: „Uns hat der dauernde Stillstand getrieben.“ Die mit dem Nachhaltigkeitsgedanken verknüpften Konsolidierungsbemühungen Schraders hätten den Ausschlag für den Antrag gegeben.

Schrader seinerseits hatte sich im Rat deutlich für den Antrag ausgesprochen, weil er die Diskussion über ein Leitbild für die Stadt als Grundlage für die zukünftige Struktur und Arbeit der Verwaltung seit langem fordere, wie er sagte. Damit lasse sich die Konsequenz der Anfang des Jahres beschlossenen Nachhaltigkeitssatzung deutlicher machen – jener „eingebauten Schuldenbremse“, die Schulden letztlich mit einer Erhöhung der Grundsteuer B ausgleichen soll. Schrader betonte, er sehe im Leitbildprozess die „Chance, eine strukturelle Ausrichtung zu finden, die der Stadt gut täte“. Dabei gehe es ihm um die Frage, was die Schwerpunkte des Verwaltungshandelns „bis 2025“ sein sollen.

So klar Grüne und Kämmerer sich bei der grundsätzlichen Bereitschaft zu diesem Prozess treffen, so deutlich gibt es aber auch Reibungslinien zwischen den politischen Leitbild-Protagonisten und dem Verwaltungsfachmann. Und die beginnen schon bei der Frage nach der Bürgerbeteiligung im Strategieprozess, der irgendwann einmal zu dem Leitbild führen soll. Für die Grünen ist die frühe Einbindung der Freudenberger unabdingbar: „Die Information der Bürger muss am Anfang stehen“, forderte Christian Hombach, damit das Leitbild nicht von vornherein zum „Leidbild“ werde. Die Bürger müssten erfahren, dass sie selbst die Teile des Gemeinwesens seien, um dessen grundsätzliche Ausrichtung es gehe, erklärte ergänzend Werner Steuber. Da komme man ohne „konfrontative Diskussion“ nicht aus, nur so lasse sich Stellung beziehen und nach einem gemeinsamen Weg suchen – bis in die Verwaltung hinein.

Dieser Ansatz ging wiederum Schrader zu weit. Seine Erfahrung zeige, dass es sinnvoll sei, wenn sich zunächst Rat und Verwaltung positionierten und anschließend die Bürger eingebunden würden. Sie hätten die Möglichkeit zur Mitwirkung über die Parteien, meinte er, während Berlin eher „basisdemokratische“ Elemente bei der Zielformulierung forderte. Hombach schlug schließlich als Vermittlungsmöglichkeit ein vermittelndes Forum von Spezialisten vor, ähnlich dem kürzlich gebildeten Freudenberger Kulturrat.

Keiner bedenke, was die „Kapazitäten“ der Stadt seien und was Freudenberg in 20 Jahren ausmachen solle, überlegte Christiane Berlin. Das müsse aber geschehen. „Visionen“ – handlungsbezogene Entwürfe für eine lebenswerte Stadt als „Korrektiv“ zur beschreibbaren Gegenwart – seien deshalb nötig, die nicht nur über Haushaltskriterien definiert werden könnten.

„Vor konkreten Zielen muss es erst einmal darum gehen, Strukturen zu entwickeln, um dem Leitbild eine Richtung zu geben“, gab darauf Schrader zu bedenken. Er schlug vor, die Ratsfraktionen könnten dazu in einer Klausurtagung „Leitbildthemen“ entwickeln, moderiert von einem externen Fachmann mit Distanz zur Freudenberger Politik und ihren (Streit-)Themen, und dann müsse es seines Erachtens darum gehen, diese Themen als mögliche neue „Produkte“ in das „Portfolio“ der Verwaltung einzuarbeiten. Bürgernähe bekäme demnach ebenso eine Produktziffer und Haushaltsstelle wie z. B. Willkommenskultur, ökologische Nachhaltigkeit oder Seniorenfreundlichkeit.

Würden sich die von Berlin geforderten „Visionen“ bei einer solchen Auffassung nicht alles in allem in ein mit Kosten versehenes, bis in jeden kleinen Teilschritt beschreibbares Verwaltungshandeln auflösen? „Ich hoffe nicht“, schüttelte die Fraktionsvorsitzende skeptisch den Kopf. „Nein“, war sich hingegen Schrader sicher. Sie zu benennen und zu überlegen, wie sie mittelfristig umsetzbar seien, helfe bei der Erarbeitung der Handlungsmöglichkeiten, die die Verwaltung brauche. Die Antwort auf die Frage, welches Potenzial letztlich in der Stadtverwaltung vorhanden sei, könnte somit eine Verbindung zwischen „Vision“ und Verwaltungshandeln darstellen, kamen beide Seiten überein.

Siegener Zeitung vom 18.12.2014

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